Zwischen Sinnreduktion und Prägnanz. Kürzung als Instrument der Sinnbildung in historischer Poetik und literarischer Reflexion
DOI:
https://doi.org/10.25619/BmE2020379Abstract
Die Vorstellung des Produktionsprozesses mittelalterlicher Dichtung konkretisiert sich im Bild des poeta faber. In diesem Kontext erscheint die Kleidermetaphorik als ausgesprochen produktiv: Die in den mittellateinischen Poetiken beschriebenen Arbeitsschritte zur tractatio materiae beruhen auf dem Konzept der inneren und äußeren Korrelation von Inhalt und Form, ›Text‹ und ›Textur‹, res und verba, und sind mutatis mutandis auch in volkssprachigen Texten nachweisbar (z. B. in Gottfrieds ›Tristan‹). Dabei kommt den Parametern der Kürzung (abbreviatio) und Erweiterung (amplificatio) die Funktion zu, unterschiedliche Sinnhorizonte zu profilieren. Der Aufsatz analysiert, unter welchen Bedingungen die Technik der Kürzung eine das Sinnpotential eines Textes ausstellende Formsemantik generiert, die als spezifisch historische ›Poetik‹ verstanden werden könnte. Als Fallbeispiel für die abbreviierende Retextualisierung in der mittelhochdeutschen Epik dient Herborts von Fritzlar ›Liet von Troye‹. Dabei erweist sich die im Prolog thematisierte abbreviatio-Programmatik auch auf der Ebene der Formgebung als zentrales Instrument, eine gemessen an der Vorlage anders akzentuierte, ›neue‹ Sinngebung zu produzieren.
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